Auch wenn es für die meisten niedergelassenen Therapeut*innen noch schwer vorstellbar ist – es gibt viele gute Gründe für einen beruflichen Social-Media-Auftritt auf Twitter, Facebook, Instagram oder TikTok.
Diese Medien nehmen im Alltag vieler Menschen eine große Rolle ein, und die Themen „psychische Gesundheit“ und „psychische Erkrankungen oder Störungen“ erfahren dort seit einigen Jahren verstärkt Aufmerksamkeit. Betroffene und Angehörige nutzen die Plattformen, um sich über Beschwerdebilder und Behandlungsoptionen zu informieren, aber auch, um sich auszutauschen. In englischsprachigen Ländern haben „Therapy-Influencer“ einen großen Zulauf an Follower*innen, wobei der Begriff irreführend ist, da Psychotherapeut*innen keineswegs Therapien über Instagram anbieten. Dieses große Interesse wurde auch mir bewusst, als ich mich aufs Social-Media-Parkett wagte und mir schon am dritten Tag nach Eröffnung meines Instagram-Accounts über 3.000 Leser*innen folgten.
Die ersten Schritte
Als niedergelassene Kinder- und Jugendpsychotherapeutin habe ich während der Pandemie oft telefonisch (und kostenlos) Eltern und Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene beraten, obwohl meine Kapazitäten bereits mehr als erschöpft waren. Das Praxistelefon klingelte ununterbrochen, und die Ratsuchenden kamen sogar unangekündigt in meiner Praxis vorbei. Auf der Suche nach Möglichkeiten, so viele Menschen wie möglich zu beraten, aufzuklären oder auf geeignete Unterstützungsangebote hinzu- weisen, kam ich im Oktober 2020 auf die Idee, soziale Medien für meine Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen, um die Wartezeiten für Patient*innen zu überbrücken und niederschwellig über hilfreiche Angebote aufzuklären. Die Überlegung war, in der digitalen Welt über psychotherapeutische Themen auf Augenhöhe zu sprechen und komplexe Sachverhalte kreativ und visuell darzustellen – in Form von ansprechenden Beiträgen, aber auch mit Hilfe informativer, kurzer Videos. So konnte und kann ich wohldosiert und reflektiert einer Vielzahl an Interessierten den Beruf der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin näherbringen, ihnen professionellen Mehrwert bieten und gleichzeitig zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen beitragen.
Grauzone Berufsrecht
Die Vor- und Nachteile habe ich im Vorfeld genau abgewogen und bin dabei immer wieder auf die „Grauzone Berufsrecht“ gestoßen. Denn meine wissenschaftlich fundierten und S3-leitliniengerechten Beiträge werden ja über die gleichen Kanäle verbreitet, wie die der selbst ernannten „Mental-Health-Coaches“ oder anderer pseudowissenschaftlicher Influencer*innen. Leider werden Beiträge und Videos nicht kontrolliert, sodass jeder posten kann, was ihm oder ihr in den Sinn kommt. Dabei werden hilfesuchende oder verzweifelte Leser*innen nicht selten mit teuren Seminaren und unrealistischen Heilsversprechen geködert oder zur Selbstdarstellung der Anbieter benutzt und ausgenutzt.
Tatsächlich überwogen auf meiner Liste die Nachteile wie hoher zeitlicher Aufwand, mögliches negatives Feedback oder gar öffentliche Angriffe (Hate Speech, Cybermobbing) und Grenzüberschreitungen. Doch ich kann mit meinem fundierten Content zeigen, wie es besser gehen kann. Deshalb habe ich mich entschieden, es trotz allem zu wagen und diesen neuen Zugang zu nutzen, über psychische Erkrankungen und Störungen mit Fachwissen aufzuklären. Sachlich und teilweise auch humorvoll gebe ich seitdem Einblicke in meinen Praxisalltag (Therapiematerialien und -methoden, etc.) und meine Arbeit.
Die Lücke schließen, Bedarf bedienen
Bei der Suche nach Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen, die wie ich online aktiv sind, wurde ich zu Beginn meiner Social-Media-Aktivitäten nicht fündig, meistens waren Kinderpsycholog*innen vertreten, die eher in Richtung Erziehung und Beziehung oder Entwicklungspsychologie aufklärten. Es gab also eine Art Versorgungslücke, die ich füllen konnte. Ich will enttabuisieren. Meine Community kann sich unterhalb meiner Beiträge aktiv über eigene Erfahrungen austauschen und vernetzen. So erfahren sie, dass sie mit ihrer Diagnose nicht allein sind. Die Hemmungen, über psychische Erkrankungen zu sprechen, scheinen sich dabei zu verringern und die Möglichkeit rückt näher, selbst eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Dabei achte ich darauf, meine Follower*innen zu schützen, indem ich Kommentare mit selbstschädigenden und/oder intimen Informationen nach Absprache mit der betroffenen Person lösche. Auch Angehörige können auf meinen Profilen Wissenslücken schließen und Informationen zum Umgang mit Betroffenen erhalten. Gerade für Eltern psychisch kranker Kinder sind sowohl die Informationen als auch die Vernetzung sehr hilfreich.
Eigenreflexion und Supervision
Der Algorithmus der meisten sozialen Medien baut bei vielen Psychotherapeut*innen Druck auf. Die Profile
von Influencer*innen werden auch für Personen sichtbar, die dem Account nicht folgen, wobei die Reichweite mit der Interaktion steigt. Das zu managen, ist eine Herausforderung. Auf der anderen Seite geht qualitativer Content, der nicht strategisch hochgeladen wird, eventuell in der Masse der Beiträge unter. Dabei sollten Psychotherapeut*innen auf Social Media darauf achten, nicht in die „Belohnungsfalle“ zu tappen (Resonanzerfahrungen) und Erfolg individuell für sich zu definieren. Die mediale Selbstwerterhöhung sollte durch Eigenreflexion hinterfragt und im Fokus behalten werden. Intervisionen oder Supervisionen können dabei unterstützen.
Social Media als Thema in der Therapie
Meine Erfahrungen als Influencerin und mein Wissen darüber, wie die verschiedenen Plattformen funktionieren, helfen mir auch im Berufsalltag. In Sitzungen
ist der Social-Media-Konsum durchaus Thema. Häufig berichten Jugendliche, dass sie bestimmten Accounts folgen oder Influencer*innen nacheifern. Dabei kann auch nach Unterstützungsangeboten im Internet (Kurse/Seminare/Coachingstunden) gefragt werden, die bereits in Anspruch genommen wurden. Die Auseinandersetzung mit der Social-Media-Nutzung eines Patienten oder einer Patientin kann sehr aufschlussreich sein, wenn er oder sie zum Beispiel Pro-Ana- oder Pro-Mia-Accounts folgt oder in Foren unterwegs ist, in denen Personen sich für die Essstörung aussprechen und dazu aufrufen, diese aufrechtzuerhalten. Dabei sollte der Konsum solch negativer Inhalte differenziert betrachtet werden. Abwertung, Ablehnung oder gar das Beharren darauf, auf diesen Konsum zu verzichten, sind nicht zielführend. Gegebenenfalls ist es eine Hilfe, gemeinsam Recovery-Accounts zu betrachten oder Mental Health Influencer*innen zu folgen, die über ihre eigene Krankheitsgeschichte oder ihren Genesungsweg berichten. Auf solchen Accounts können Patient*innen soziale Unterstützung finden, sich zugehörig, verstanden und geborgen fühlen (In-Group).
Mein Benefit
Mit mehr als 76.000 Leser*innen bin ich im Vergleich zu vielen Lifestyle-Influencer*innen eine sogenannte Micro-Influencerin. Als professioneller Psychotherapie-Account sind die Zahlen allerdings erwähnenswert. Sie ermöglichen es mir, in einem begrenzten Rahmen einen großen Mehrwert unter besonderem Schutz für die Konsument*innen zu liefern.
Du leistest einen großartige Arbeit und es ist nicht selbstverständlich, sich auch noch neben der Praxis und der eigenen Familie so engagiert im sozialen Netzwerk zu bewegen. Dein Input, deine verständliche Art Dinge zu erklären, dein Herzblut und dein Charakter sind eine Bereicherung für mich und gewiss auch viele andere. Seit Monaten lese/sehe ich nichts von dir und auch du liest Nachrichten nicht. Da kommt ein wenig Sorge auf bei mir. Ich hoffe, es geht deinen Lieben und Dir gut und du nutzt die Zeit, dich um dich zu sorgen, nicht immer nur um andere. Auf diesem Wege möchte ich dir nur nochmal mitteilen, wie sehr ich dich als Menschen schätze und wie dankbar ich bin, dich auf Instagram gefunden zu haben. Du bereicherst mich und mein Leben und es ist traurig, dass du so weit weg wohnst. Der Wunsch, mal mit dir einen Kaffee zu trinken, besteht immer noch 😉
Genieße die letzten Tage im Jahr und fühle dich umarmt.
Alles Liebe, der GuteNachtKeks